Perfect Storm

In Ihren Büchern haben Sie immer wieder gesellschaftspolitisch relevante Themen aufgegriffen. Auch Umweltaktivismus ist unter den Jugendlichen und in den Medien brandaktuell. Welche Rolle spielte das bei Ihrer Themenwahl?

Eine sehr große. Die Umweltzerstörung und die Klimakatastrophe sind das wichtigste Thema unserer Zeit. Die globale Erwärmung mit ihren immer deutlicher zutage tretenden Folgen, der Raubbau an den Ozeanen, die Abholzung der Regenwälder, das massenhafte Aussterben von Tier- und Pflanzenarten, die Vernichtung unserer natürlichen Ressourcen – Wissenschaftler*innen haben all das umfassend dokumentiert, warnen seit Jahren vor den Folgen und formulieren dramatische Appelle, endlich etwas gegen diese Entwicklung zu unternehmen. Und was passiert? Die Politik verharmlost und beschwichtigt, formuliert hochtrabende Absichtserklärungen auf internationalen Konferenzen und beschränkt sich ansonsten darauf, Maßnahmen zu ergreifen, die sanft (und damit wirkungslos) genug sind, um keine Wähler*innen zu verprellen. Die Konzerne haben die Öko-Thematik als dankbares Vehikel für Greenwashing-Imagekampagnen entdeckt, stellen in der Realität aber ihren Profit und den Shareholder Value unverändert über alles andere. Und die meisten Menschen halten trotz der inzwischen unübersehbaren Warnsignale an ihrem zerstörerischen Lebensstil fest, als befänden sie sich im Ballsaal der »Titanic«.
All das zu beobachten, ist schlimm genug. Wirklich wütend aber hat mich etwas anderes gemacht: mitzuerleben, dass ausgerechnet jene Menschen – vorwiegend junge Menschen –, die versuchen, entschlossen für die Natur und das Leben auf diesem Planeten einzutreten, für ihr Engagement bestenfalls belächelt und verspottet, schlimmstenfalls aber angegriffen und kriminalisiert werden. Sie als »Radikale« zu bezeichnen oder sie gar in die Nähe von Terroristen zu rücken, sind verbale Entgleisungen der schlimmsten Art. Denn: Umwelt- und Klimaschutz ist niemals radikal, Umweltzerstörung ist radikal.
Das sind die Gedanken und Gefühle, aus denen heraus ich diesen Roman geschrieben habe.

Sie erzählen komplex: multiperspektivisch auf mehreren Erzähl- und Zeitebenen und verwenden unterschiedliche Stilformen wie interviewähnliche Passagen und Manifest-Einschübe, auch sehr bildstarke Szenen wie den furiosen Beginn mit Emmas Erklimmen des Frankfurter Messeturms. Die Handlung läuft wie ein Film, wie ein Umweltkrimi vor den Augen der Leser*innen ab. Was haben Sie sich dabei gedacht, wie komponieren Sie Ihre Texte?

Beim Konzipieren des Romans waren mir drei Dinge wichtig. Erstens: eine Kongruenz zwischen Form und Inhalt zu erreichen, also genau die literarischen Stilmittel zu wählen, die der Thematik angemessen sind. Zweitens: die politische und auch die ethische Dimension des Themas immer mitschwingen zu lassen, nie aber in den Vordergrund zu stellen; im Vordergrund sollten im Jugendroman immer Spannung, Atmosphäre und die Anknüpfbarkeit an eigene Erfahrungswelten stehen. Und drittens: das Hauptaugenmerk auf die Figuren zu legen, also die Handlung des Romans ganz aus ihren Charaktereigentümlichkeiten, Lebensgeschichten und inneren Konflikten zu entwickeln.
Ein besonderer literarischer Reiz entsteht durch die unterschiedlichen Charaktere der beiden Hauptfiguren, deren Perspektiven sich im Roman jeweils abwechseln. Emma ist sehr ernsthaft, konsequent und direkt, Finn gibt sich dagegen eher ironisch und überspielt seine gelegentliche Unsicherheit mit einer gewissen Schnoddrigkeit. Diese Unterschiede schlagen sich auch in der Sprache der beiden Figuren nieder. Ihre Sichtweisen auf dieselben Sachverhalte ergänzen und kontrastieren sich.
Daneben wollte ich möglichst systematisch beschreiben, wie eine Organisation wie »No Alternative« ihre Prinzipien und ihre Aktionen begründen würde. Dies in die Dialoge der Protagonist*innen zu verlegen, wäre möglich gewesen, hätte aber schnell sehr gekünstelt erscheinen können. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, ein eigenes Manifest zu entwerfen, das in fünf Teilen in den Roman eingestreut ist.

Die Leser*innen erfahren in Ihrem Buch nicht nur, wie aktivistische Gruppen organisiert sind, ihre Aktionen planen und immer wieder Grenzen ausloten müssen. Wir erleben auch, welch hohen Preis die Aktivist*innen für ihre Ideale zahlen und wie sie sich mit der Zeit verändern. Wie haben Sie das recherchiert und welche realen Organisationen oder Vorbilder aus der Aktivistenszene gibt es möglicherweise für Ihren Roman?

Ich habe mit vielen Leuten gesprochen, die sich in verschiedenster Art ökologisch engagieren, sei es in Bewegungen und Organisationen oder auch privat. Diese Gespräche dienten dazu, ein Gespür dafür zu bekommen, welche verschiedenen Motivationen, Ängste, Frustrationen oder auch Träume und Hoffnungen das Engagement dieser Menschen bestimmen, also wie sie »ticken«.
Die Aktivist*innen der Organisation »No Alternative« im Roman haben sich allerdings für eine aggressivere Vorgehensweise entschieden, als es zum Beispiel bei »Fridays for Future« oder auch bei der »Letzten Generation« der Fall ist. Dafür habe ich mich an den Prinzipien und Handlungsformen einiger Bewegungen orientiert, die vor allem in den USA und in Großbritannien aktiv waren oder sind. In erster Linie zählen dazu die 1977 gegründete »Earth Liberation Front«, die 1979 gegründete Organisation »Earth First!« und die 2011 gegründete Bewegung »Deep Green Resistance«.

Wie ist Ihre persönliche Einstellung zum Umwelt-Aktivismus, was möchten Sie mit Ihrem Jugendroman erreichen?

Die Aktivist*innen von »Fridays for Future« und von der »Letzten Generation« stellen in meinen Augen eine gesellschaftliche Elite dar. Sie kämpfen erstens für eine unzweifelhaft gute Sache, und zwar für die Zukunft des Lebens und der natürlichen Lebensgrundlagen auf diesem Planeten, sie sind zweitens dazu bereit, in diesem Zusammenhang erhebliche persönliche Nachteile und Risiken in Kauf zu nehmen, und sie verbinden drittens mit ihrem Engagement kein materielles oder karriereförderndes Eigeninteresse. Das ist für mich die Definition einer Elite.
Wenn man dem Grundsatz folgt, dass die Natur über dem Menschen und damit auch über den vom Menschen gemachten Gesetzen steht, dann mögen Aktionen zu ihrem Schutz in bestimmten Fällen zwar als Straftaten gewertet werden, sind aber aus ethischer Sicht niemals falsch. Welche Mittel dazu erlaubt sind und welche nicht, muss letzten Endes jede und jeder für sich entscheiden. Es ist wie bei Martin Luther: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders.« Es ist eine Frage des Gewissens. Zu welchen Gewissensnöten diese Frage führen kann und wie viel Mut und Kraft es braucht, die richtige Antwort zu finden und in einer Gesellschaft, die durch Besitzdenken und Hedonismus geprägt ist, konsequent zu dieser Antwort zu stehen, davon handelt der Roman »No Alternative«.