Dirk Reinhardt

»Der Jugendroman No Alternative über eine sich radikalisierende junge Frau rückt Klimaaktivisten in die Nähe der RAF«, übertitelt Sebastian Jutisz seine Rezension in der Süddeutschen Zeitung und fragt skeptisch: »Was soll man daraus lernen?« Ob die jungen Aktivist*innen im Roman mit ihrem Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit wirklich in der Nähe der Roten Armee Fraktion stehen, überlasse ich dem Urteil der Leser*innen. Die sich anschließende Frage des Rezensenten ist aber berechtigt, und die Antwort lautet: Die Natur auf diesem Planeten wird fortwährend zerstört, durch den Ausstoß schädlicher Emissionen, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die Auslöschung von Ökosystemen. Verantwortlich dafür sind in erster Linie die reichen Industrieländer, mit anderen Worten: wir. Unsere Gesellschaft, unser Wirtschaftssystem tötet jeden Tag, millionenfach. Die Aktivist*innen im Roman töten nicht, denn die Autos, die sie in die Luft jagen, sind schon tot. Das heißt: So radikal ihre Aktionen auf den ersten Blick erscheinen mögen, sind sie doch bei Weitem nicht so radikal wie das, was wir jeden Tag tun. Nicht sie sind die Terroristen, wir sind es. Genau diesen Spiegel halten sie der Gesellschaft vor, und mit den Methoden, für die sie sich entschieden haben, tun sie es wirkungsvoller als mit Demonstrationen oder Straßenblockaden. »Wir sind keine Terroristen, wir sind Anti-Terror-Kämpfer«, sagt die Protagonistin des Romans, die 17-jährige Emma. Man soll aus meinem aktuellen Roman No Alternative nicht unbedingt etwas lernen – diese Formulierung offenbart ein sehr antiquiertes Verständnis von literarischer Kommunikation. Aber man kann ihn zum Anlass nehmen, über all das nachzudenken.

Was geschieht, wenn sechs Jugendliche im Alter von 15, 16 Jahren, die über die ganze Welt verstreut sind, zwei global operierende Konzerne angreifen? Konzerne, die Menschenrechtsverletzungen begehen, unter denen einer der sechs ganz konkret zu leiden hat? Wenn sie für ihren Angriff die einzigen Waffen wählen, die ihnen zur Verfügung stehen: ihre Rechner, das Internet, ihre Fähigkeiten als Hacker*innen? Wenn der Geheimdienst auf sie aufmerksam wird und seinen besten Cyber-Agenten beauftragt, die sechs zu identifizieren und zu bestrafen? Der Roman Perfect Storm erzählt diese Geschichte, in deren Verlauf sowohl die sechs Hacker*innen als auch der junge Geheimagent an ihre Grenzen stoßen und viel Neues über sich selbst erfahren.

Auch das Thema Flucht und Migration prägt unsere Zeit. Überall auf der Welt sind Menschen unterwegs, die der Armut oder der Gewalt in ihrer Heimat entfliehen wollen. Viele Kinder und Jugendliche sind darunter. Besonders dramatisch ist die Situation in Afghanistan, wo seit 45 Jahren fast ununterbrochen Krieg herrscht. Oft ist Flucht der letzte Ausweg – vor den Taliban, vor der Unterdrückung der Frauen und Mädchen, vor den Millionen von Minen, die im Land vergraben sind, aber auch vor den Folgen der Klimakatastrophe. Es ist ein Weg voller Strapazen und Gefahren. Der Roman Über die Berge und über das Meer schildert das Schicksal und die Abenteuer von Soraya und Tarek, zwei jungen afghanischen Geflüchteten, die diesen Weg auf sich nehmen.

Ganz ähnlich versuchen auch in Mittelamerika Zehntausende von Jugendlichen, in die USA zu kommen, die meisten auf der Suche nach ihren Müttern, die dort arbeiten. Ihr Weg durch Mexiko – auf den Dächern der Güterzüge – ist riskant. Sie werden von Räubern verfolgt, von der Polizei gejagt, kämpfen mit Hunger und Durst, leiden unter der Hitze im Dschungel, der Kälte im Gebirge und der Trockenheit in der Wüste. Und dann wartet das größte Hindernis auf sie: die schwer bewachte Grenze im Norden zu den USA. Von ihrem Schicksal erzählt mein Roman Train Kids. Er war für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert, hat den Friedrich-Gerstäcker-Preis und den katalanischen Jugendliteraturpreis »Protagonista Jove« gewonnen und ist inzwischen vielfach Schullektüre geworden.

In einer ganz anderen Zeit lebten die Edelweißpiraten: Arbeiterjugendliche, die sich im Nationalsozialismus dagegen wehrten, unterdrückt und auf den Krieg vorbereitet zu werden. Sie lieferten sich Schlachten mit der Hitlerjugend, wurden von der Gestapo verfolgt, verfassten Flugblätter und gingen in den Untergrund. Auch sie – in dieser Hinsicht den jungen Migrant*innen aus Afghanistan und Mittelamerika vergleichbar – konnten ihr Schicksal nur meistern, indem sie bedingungslos füreinander einstanden. Von ihrer Geschichte erzählt der Roman Edelweißpiraten, der die über Jahrzehnte fast vergessene Bewegung wieder ins Bewusstsein rückt und inzwischen an vielen Schulen zur Standardlektüre bei der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus geworden ist.

Wer mir schreiben möchte, kann es unter dirkreinhardt(at)gmx.de gerne tun. Auf Social Media bin ich nicht vertreten, da ich weder dem chinesischen (TikTok) noch dem russischen Staat (Telegram) meine Daten zur Verfügung stellen möchte und auch keinen Wert darauf lege, zur weiteren Vermehrung des Reichtums der Herren Musk (X) oder Zuckerberg (Instagram, Facebook) beizutragen. Auf Plattformen, auf denen demokratiefeindliche, rassistische, sexistische, antisemitische oder anderweitig diskriminierende Inhalte gepostet werden, ohne dass die Betreiber ernsthafte Versuche unternehmen, dagegen einzuschreiten, möchte ich nicht vertreten sein.