Edelweißpiraten

In Ihrem Jugendroman »Edelweißpiraten« stellen Sie eine Gruppe junger Widerstandskämpfer vor. Warum haben Sie die Edelweißpiraten zum Thema Ihres Buches gemacht?

Zum einen bietet das Thema die Möglichkeit, die Zeit des Nationalsozialismus aus einer ganz neuen Perspektive zu zeigen, und zwar aus der Sicht einer Gruppe von Arbeiterjugendlichen, die sich vom Regime nicht länger vorschreiben lassen wollen, wie sie zu leben haben. Außerdem sind die Themen Widerstand gegen Diktaturen und Rechtsextremismus derzeit wieder sehr aktuell. Vor allem aber – und das ist im Hinblick auf junge Leser*innen entscheidend – ist das Schicksal der Edelweißpiraten, die sich, gestützt auf ihren Freiheitsdrang und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl, mit einem brutalen Regime anlegten, einfach eine ungeheuer spannende und ergreifende Geschichte.

Sie haben eine besondere Form für Ihr Buch gewählt und stellen den fiktiven Tagebucheinträgen aus den 40er Jahren eine Rahmenhandlung in der Gegenwart gegenüber. Weshalb haben Sie sich gerade für diese Romanstruktur entschieden?

Sicher, die Struktur ist ungewöhnlich, gerade für den Jugendbuchbereich. Aber man kann jungen Leser*innen ruhig etwas zutrauen. Außerdem soll die Verschränkung der Zeitebenen verdeutlichen, dass uns die Zeit des Nationalsozialismus immer noch eine Menge angeht. Schauen Sie sich die Fragen an, vor denen die Edelweißpiraten standen: Was will ich tun mit meinem Leben? Welchen Weg will ich gehen – mich anpassen oder meiner Überzeugung folgen? Bin ich bereit, für meine Freiheit und für meine Ideale sogar das Leben zu riskieren? Diese Fragen stellten sich damals auf besonders existenzielle Weise, aber irgendwann muss jeder Jugendliche sie für sich beantworten, egal wann und wo er lebt. Das wird auch Daniel, dem Protagonisten aus der Rahmenhandlung, sehr schnell klar.

Aber glauben Sie wirklich, Sie können Jugendliche mit einem zeitgeschichtlichen Roman von der Playstation oder dem Handy weglocken?

Warum denn nicht? Sie müssen sich nur darin wiederfinden, einen Anknüpfungspunkt haben, der sie packt. In vielem unterscheiden sich die Edelweißpiraten doch überhaupt nicht von einer Jugendclique von heute. Der Versuch, eine verschworene Gemeinschaft zu bilden, mit der man sich von der Erwachsenenwelt abgrenzen kann; die Liebe zur Musik, zu eigenen Klamotten und Frisuren; die coole Sprache; die Lust zu provozieren und Gefahren einzugehen – das ist nicht anders als heute. Nur war es damals kein Spiel, sondern blutiger Ernst, der viele das Leben kostete. Wer das Buch heute liest, wird sich fragen: Wie hätte ich wohl gehandelt, wenn ich zufällig 70 Jahre früher geboren wäre? Ich hätte einer von denen sein können! Ich glaube, das kann viele ansprechen.

In dem Nachwort zum Roman erwähnen Sie, dass vermutlich mehrere tausend Jugendliche zu dieser Bewegung gehörten. Wie kann es dann sein, dass man bis heute so wenig über sie weiß?

Die Edelweißpiraten wurden jahrzehntelang entweder totgeschwiegen oder als kleine Kriminelle gebrandmarkt. Das hat sich in letzter Zeit zwar geändert, aber man tut sich immer noch schwer damit, sie in einem Atemzug mit Widerstandskämpfer*innen wie Stauffenberg oder den Geschwistern Scholl zu nennen. Das offizielle Geschichtsverständnis in der Bundesrepublik geht davon aus, dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus ein Produkt von bürgerlichen Eliten war, wohingegen einfache Leute gar nicht die Chance hatten, etwas gegen das Regime zu tun. Die Edelweißpiraten widerlegen diese These, das macht sie unbequem. Allerdings bieten sie auch genug Angriffsfläche. Die meisten von ihnen waren nicht gerade das, was man aus bürgerlicher Sicht wohlerzogen nennt. Sie hatten viel Blödsinn im Kopf, und wenn es zu Auseinandersetzungen mit der HJ kam, waren sie in der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich.

Das heißt, sie taugen nicht als Identifikationsfiguren?

Aber nein, das Gegenteil ist der Fall. Sie stehen nicht auf einem Heiligenpodest, es waren ganz normale Jugendliche mit allen möglichen Macken. Weder kamen sie aus privilegierten Familien noch waren sie besonders gebildet. Sie hatten nichts weiter als ihren gesunden Menschenverstand, ihr elementares Gefühl von Gut und Böse und einen ungeheuren Freiheitsdrang. So fing alles an. Sie wollten selbst über ihr Leben bestimmen, wollten sich nicht in die HJ und die Wehrmacht pressen lassen. Am Ende verfassten sie Flugblätter gegen den Krieg und ließen sich selbst durch den brutalen Terror von SS und Gestapo nicht von diesem Weg abbringen. Diese Jungs und Mädchen hatten wirklich unglaublichen Mut – und eine Menge Rückgrat. Ihre Geschichte sollte nicht vergessen werden. Wenn dieser Roman einen Beitrag dazu leistet, hat er seinen Zweck erfüllt.